Über uns

Eine kurze Geschichte des Hauses

Als 2007 das Haus der Georg-Schwarz-Straße 1/Merseburger Straße 94 relativ leer stand und die langjährige Eigentümerin starb, engagierten sich damalige Bewohner*innen, um das Gebäude wieder mit Leben zu füllen. So wurden Wohnungen neu belegt und Veranstaltungen unterschiedlicher Formate im Haus für verschiedene Zielgruppen angeboten. 2010 wurde das 111 Jahre alte Haus von einer Wiener Immobilienfirma aufgekauft und der Verfall des Hauses Schritt voran. Nachdem nicht nur die schlechte Verfassung sondern vor allem auch Kündigungsklagen des Eigentümers das Leben in der Georg-Schwarz Ecke Merseburger Straße unzumutbar machten, zogen einige Bewohner*innen aus. Anfang 2018 konnte gemeinsam mit der Edith-Maryon-Stiftung das Haus gesichert werden und im Mai 2018 ist es in das Eigentum der SoWo Leipzig eG übergegangen.

1. Vergemeinschaften, (das Haus denen, die drin wohnen)

Um in unserem Haus langfristig bezahlbaren Wohnraum zu sichern, haben wir unser Haus mithilfe der Solidarischen Wohnungsgenossenschaft Leipzig e.G. (SoWo Leipzig eG) vergemeinschaftet. Die SoWo ist Eigentümerin des Hauses, das wir als Genossenschaftsmitglieder und Bewohner*innen selbstbestimmt gestalten, verwalten und bewohnen. Mit dem genossenschaftlichen Rahmen ist ein erneuter Verkauf des Hauses unterbunden. Indem wir den Wohnraum dem Markt entziehen, setzen wir ein Zeichen gegen die aktuellen Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt. Für uns bedeutet das: kostendeckende Mieten statt profitorientierter Mieterhöhungen, Gemeingut statt Privateigentum, das Haus denen, die drin wohnen.

2. Genossenschaft als Rechtsform

Als Rechtsform der Vergemeinschaftung haben wir die Genossenschaft gewählt und sind Teil der SoWo Leipzig e.G. (Solidarische Wohnungsgenossenschaft Leipzig). Im Gegensatz zu größeren Genossenschaften ist die SoWo stark demokratisch organisiert, sodass wir als Haus die wirtschaftliche und wohnpolitische Strategie der Genossenschaft aktiv mitgestalten können. Wir versprechen uns von der Organisation in der Genossenschaft, über unser Haus hinaus in die Stadt- und Wohnungspolitik wirken zu können. In der Zukunft wollen wir Strukturen schaffen, die bestehende Mieter*innen-Gemeinschaften dabei unterstützen, ihre Häuser zu kaufen und den Schritt in die Selbstverwaltung zu wagen. Die Genossenschaft soll Ort des Austausches zwischen den Hausgemeinschaften und der gegenseitigen Unterstützung sein.

3. Selbst verwalten – selbst gestalten

Wir wollen alle relevanten Belange, die Haus und Wohnen betreffen, selbstbestimmt und gemeinsam entscheiden, organisieren und gestalten. Dies betrifft zum Beispiel Wohnungsgrößen, Bewohner*innenauswahl, eine solidarische Aufteilung der Miete, Entscheidungen über Modernisierungsvorhaben und die Nutzung von Gemeinschaftsräumen.
Selbstverwalten heißt auch, dass wir Formen solidarischen Zusammenlebens erproben und mit konkreten Konzepten experimentieren wollen. Einerseits sind wir dabei bestrebt, offen und interessiert vermeintlich komplexe Verfahren wie Bieter*innenrunden für die Mietenfinanzierung auszuprobieren und sie nicht aus scheinbar pragmatischen Zwängen von vornherein auszuschließen. Andererseits sind wir uns im Klaren darüber, dass dieses Haus als Großprojekt im Zweifelsfall Pragmatismus erfordert, um die Hausgemeinschaft finanziell und sozial nicht zu überfordern. Wir streben deshalb ein gutes Maß zwischen herausfordernder politischer Lebenspraxis und der Suche nach praktikablen Lösungen an.

4. Aus dem Haus ins Viertel

Wir wollen über das Haus hinaus in das Viertel hinein wirken. Dafür möchten wir die uns zur Verfügung stehenden Laden- und Hofflächen nutzen und dort Projekte etablieren, die Menschen aus unserem Kiez zusammenbringen. Es ist uns wichtig, keine idealistischen Luftschlösser zu bauen, sondern an die Bedürfnisse unserer Nachbar*innenschaft anzuknüpfen. Wir möchten dabei Raum für unterschiedliche – sich teils widersprechende – Lebensrealitäten bieten und einen solidarischen, progressiven Umgang mit den daraus entstehenden Spannungen finden.

5. Solidarisches Wohnen

Wir wollen gleichberechtigt, respektvoll und solidarisch miteinander leben. Wir wollen versuchen, gemeinsam den unterschiedlichen Bedürfnissen der Menschen im Haus gerecht zu werden und damit zu einem guten Leben jeder*s Einzelnen beitragen. Gemeinsam wollen wir uns mit unseren sozialen Rollen in der Gesellschaft und im Projekt auseinandersetzen und unser Verhalten reflektieren. Wir wollen uns Räume schaffen, in denen wir alternative Lebenskonzepte erproben können und Themen wie Familie, Sorgearbeit, Altern u.a. diskutieren. Wir wollen uns gegenseitig in Familien- und Sorge-Arbeiten unterstützen. Wir wollen Konzepte der solidarischen Ökonomie ausprobieren.

All dies soll es uns ermöglichen, auch außerhalb des Hauses langfristig politisch aktiv bleiben zu können.

6. Veränderungen mitdenken und Offenheit bewahren

Wir wollen flexibel sein gegenüber sich ändernden Lebensumständen und wünschen uns voneinander die Offenheit, zu experimentieren. Um uns, unsere Bedürfnisse und das Projekt dabei nicht aus den Augen zu verlieren, wollen wir regelmäßig zu Reflexionen des Gruppenprozesses zusammenkommen.

Wir wollen uns eine nach außen gerichtete Offenheit bewahren, sowohl für neue Haus-Bewohner*innen als auch für Menschen aus dem Viertel.

7. Zugang ohne „finanzielle Voraussetzungen“

An unserem Projekt sollen auch Menschen ohne oder mit geringem Einkommen teilhaben können – finanzielle Rücklagen sind keine Voraussetzung für die Teilnahme am Projekt. Die dauerhafte Finanzierung des Projektes über die Einwerbung von Mitteln (Direktkredite, Förderungen) ist Aufgabe aller.

8. Wohnraum für auf dem Wohnungsmarkt Benachteiligte

In unserem Haus wollen wir beim Wohnen Menschen mit Diskriminierungserfahrungen besonders berücksichtigen. Wir wollen damit auch dem Umstand Rechnung tragen, dass vielen Menschen Kapazitäten für den Aufbau eines solchen Projektes fehlen und sie sich neben anderen Gründen an einem solchen nicht beteiligen können. Auch außerhalb des Wohnprojekts wollen wir für ein gutes Wohnen für Alle kämpfen.

9. Zusammenarbeit ohne Hierarchien und mit Rotationen

Wir wollen unser Haus gemeinsam organisieren. Die hierbei anfallenden Aufgaben sollen prinzipiell von allen Menschen ausgeführt werden können. Um Verantwortlichkeiten nicht bei Einzelnen zu lassen und Hierarchien möglichst flach zu halten, sollen Aufgaben rotieren.

10. Umgang mit Machtverhältnissen

Gesellschaftliche Machtverhältnisse führen unter anderem dazu, dass bestimmte Menschen aufgrund ihrer tatsächlichen oder angenommenen Zugehörigkeit zu einer Gruppe mit Privilegien ausgestattet sind, während andere mit Diskriminierung zu kämpfen haben. Zwei dieser Machtverhältnisse, auf die wir konkret eingehen wollen, sind Rassismus und Patriarchat.

Von Rassismus betroffene Menschen werden auf individueller, institutioneller und struktureller Ebene mit bewussten und unbewussten alltäglichen Beleidigungen, Ausgrenzungen und Übergriffen konfrontiert. Weiße Personen profitieren von diesem realen Machtunterschied in unserer Gesellschaft, was bereits in der Geschichte des Kolonialismus sichtbar wurde. Rassismus basiert auf der Zuordnung von biologischen Kategorien (z.B. Haar- oder Hautfarbe) und den daraus gefolgerten sozialen Zuschreibungen (z.B.Sprache oder Kontostand). Diese Zuordnung ist jedoch willkürlich. Auch wir sind in diesen Machtverhältnissen aufgewachsen und wiederholen bestimmte Formen der Diskriminierung _oder sind diesen ausgesetzt. Wir wollen versuchen uns dem aktiv zu stellen. Wir wollen Personen, die Rassismus und/oder andere Formen der Diskriminierung erfahren, bevorzugt in unser Projekt aufnehmen.

Unsere Gesellschaft ist patriarchal organisiert. Das bedeutet unter anderem, dass Menschen, die der Gruppe der Männer zugeordnet werden, mehr Macht haben und weniger Diskriminierung erfahren als Frauen oder Personen, die sich nicht den Kategorien Mann oder Frau zuordnen. Wir wollen auf ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis achten und sind für Menschen offen, die sich in den Kategorien Mann oder Frau nicht wiederfinden.

Wir wollen einen Raum schaffen, in dem wir Machtverhältnisse, Privilegien und Lebensweisen kritisch reflektieren und einen sensiblen Umgang damit finden. Deswegen arbeiten wir an unseren Aufgabenverteilungen und Rollen im Projekt, unsere Kommunikationsweisen und -dynamiken bei Arbeitstreffen sowie den generellen Umgang untereinander. Beispielsweise wollen wir konkrete Utopien voranbringen, indem wir immer wieder lernen, Sorgearbeit aufzuwerten und ein solidarisches Miteinander zu gestalten. Mit dieser Haltung wollen wir uns für ein von Solidarität, Respekt und Toleranz geprägtes Miteinander auch nach außen hin einsetzen.

11. Entscheidungen basisdemokratisch treffen

Da wir eine große Gruppe sind, diskutieren und entscheiden wir einige Fragen in kleineren Gruppen, zum Beispiel auf Arbeitsgruppenebene oder in Wohngemeinschaften. Im vergangenen Jahr hat sich in der Gruppe als Entscheidungspraxis ein konsensähnliches Verfahren herausgebildet. Das heißt: Wir versuchen Kompromisse so auszuhandeln, dass die Entscheidungen von möglichst vielen Menschen getragen und aktiv unterstützt werden. Dafür kommen wichtige Entscheidungen zu unterschiedliches Zeitpunkten (erstes Stimmungsbild, Vorentwurf, endgültiger Beschluss) auf die Tagesordnung eines Plenums und werden dort gemäß dem aktuellen Entscheidungsstand vorgestellt. Interessierte Bewohner*Innen mit Widersprüchen oder Ergänzungen sind aufgerufen, sich in jeder Arbeitsphase in die Entscheidungsfindung einzubringen.

Projektgruppe Georg-Schwarz-Str. 1/Merseburger Str. 94
Stand März 2020